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Zukunft der Menschheit: Sieben von acht Grenzen des Erdsystems sind überschritten

Wie muss die Menschheit ihre Zukunft gestalten, damit möglichst alle gut leben können? Forschende haben dazu die Grenzen des Erdsystems definiert, gemessen an Artenvielfalt, Nährstoffen, Wasser, Klima – und: Gerechtigkeit.
Altreifen auf vertrocknetem Flussbett irgendwo in Argentinien
In der Mitte Südamerikas herrscht seit Jahren eine starke Dürre. Gründe sind das Wetterphänomen La Niña und die Abholzung von Regenwald – der Klimawandel verschärft die Situation. So werden Grenzen des Erdsystems überschritten.

Nicht nur die Erderwärmung bedroht das Leben auf der Erde, sondern auch andere vom Menschen beeinflusste Entwicklungen: knapper werdende Süßwasserreserven, Umweltverschmutzung und die Verringerung der Artenvielfalt. Die Earth Commission, ein internationaler Zusammenschluss von Forschenden, hat nun sichere und gerechte Grenzen des Erdsystems benannt und in Zahlen gefasst. In der Fachzeitschrift »Nature« schreibt die Gruppe um Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dass sieben von acht sicheren und gerechten Grenzen bereits überschritten seien.

Aus Sicht der mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefährdet der Mensch mit seiner heutigen Lebensweise die Stabilität und Belastbarkeit des gesamten Planeten. »Aus diesem Grund legen wir zum ersten Mal quantifizierbare Zahlen und eine fundierte wissenschaftliche Grundlage vor, um den Zustand unseres Planeten nicht nur im Hinblick auf die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Erdsystems, sondern auch im Hinblick auf das menschliche Wohlergehen und Gerechtigkeit zu bewerten«, erklärt Rockström. Die Grundlage bilden wissenschaftliche Erkenntnisse der vergangenen Jahre sowie Computermodellierungen.

Die Studie beruht auf dem 2009 von Rockström und seinen Kollegen vorgestellten Konzept der planetaren Grenzen, deren Überschreiten die Stabilität der Ökosysteme auf der Erde gefährdet. Ergänzt wurde es nun um eine Grenze für einen sicheren und gerechten Handlungsraum der Menschheit. Die Idee dazu stammt aus der Donut-Ökonomie, einer Theorie der britischen Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth aus dem Jahr 2012. Wichtig für die Konzeption der sicheren und gerechten Erdsystemgrenzen sind auch die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen.

Wenn die Grenzen des Erdsystems gesprengt werden

Ein System im Ungleichgewicht ist anfällig für Störungen. Das gilt auch für die Erde. Ist deren Widerstandsfähigkeit reduziert und sind Teile des Erdsystems nachhaltig gestört – etwa durch den Klimawandel, den Verlust von Wasser, Nährstoffen oder der Artenvielfalt –, drohen erhebliche Schäden. Diese können ein schwer wiegendes, existenzielles Ausmaß annehmen und irreversible negative Auswirkungen auf Länder, Gemeinschaften und Einzelpersonen haben. Als Beispiele nennen die Forschenden den Verlust von Menschenleben, von Lebensgrundlagen oder Einkommen, die Vertreibung von Menschen; es könnten weniger Lebensmittel und Wasser zur Verfügung stehen sowie chronische Krankheiten oder Mangelernährung vermehrt auftreten.

Wie viele Grenzen sind überschritten? | Die Grafik verdeutlicht, in welchen Regionen der Welt wie viele Grenzen des Erdsystems überschritten sind. Die Farben der Skala unten links zeigen die Zahl an. Wie die Forschenden betonen, müssen die Menschen an einem Ort aber nicht unbedingt die dortigen Grenzüberschreitungen verursacht haben.

Bei der Artenvielfalt sehen die Studienautoren bereits zwei sichere und gerechte Grenzen überschritten: 50 bis 60 Prozent der Landfläche auf der Erde müssten naturbelassen sein oder nachhaltig bewirtschaftet werden, damit die Ökosysteme funktionieren können, also die Bestäubung von Pflanzen, und frisches Wasser sowie frische Luft garantiert bleiben. Derzeit treffe dies nur auf 45 bis 50 Prozent der Landfläche zu. Eigentlich müssten 20 bis 25 Prozent eines jeden Quadratkilometers von weitgehend natürlicher Vegetation bedeckt sein – diese Anforderung ist jedoch nur für ein Drittel jener Flächen erfüllt, die unter dem Einfluss des Menschen stehen.

Um die Ökosysteme in und um Flüsse sowie Binnengewässer zu erhalten, sollte deren Wasserstand laut Rockströms Team nur um etwa 20 Prozent der Wassermenge schwanken. Auf rund einem Drittel der weltweiten Landfläche ist dies nicht der Fall. Zudem sollte nur so viel Grundwasser entnommen werden, wie wieder hinzukommen kann. Diese Grenze wird derzeit auf 47 Prozent der weltweiten Landflächen gerissen. Ebenfalls deutlich zu hoch sind die Werte für Stickstoff und Phosphor, die über Kunstdünger in Erd- und Wassersysteme schließlich in die Gewässer eingetragen werden. Dies führe zu Algenblüten, die giftig für Menschen und Tiere sein können und den Sauerstoff in tieferen Wasserschichten aufzehren und so »Tote Zonen« unter Wasser verursachen.

Die Grenze der Gerechtigkeit

Aufbauend auf dem Konzept der planetaren Grenzen haben die Forschenden nun den Aspekt der Gerechtigkeit in ihr Schema einbezogen – also, wie die Menschheit die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen für alle gerecht nutzen kann und nicht ungleich von Veränderungen oder Mangel betroffen ist. Im Detail führten die Fachleute drei Aspekte der Gerechtigkeit ein: So soll Gerechtigkeit gegenüber anderen Lebewesen und Ökosystemen gewährleistet sein, gegenüber den nächsten Generationen und gegenüber den Menschen der heutigen Generation. »Unsere sicheren und gerechten Grenzen können bei der Zielsetzung Orientierung geben, müssen aber auch durch gerechte Umgestaltungsprozesse verwirklicht werden, die den Menschen ein Mindestmaß an Zugang zu Ressourcen sichern«, sagt Koautorin Joyeeta Gupta von der Universität Amsterdam.

»Diese Studie legt nun den Fokus darauf, dass alle Regionen bewohnbar bleiben sollen, was nur gerecht ist, da die am meisten durch den globalen Klimawandel betroffenen Gebiete am wenigsten zur Klimaerwärmung beigetragen haben«Christian Franzke, Pusan National University in Südkorea

Zum Tragen kommt das Gerechtigkeitskonzept etwa beim Klimawandel: Während eine Erwärmung um 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter von den Wissenschaftlern noch als »sicher« eingestuft wird, sehen sie eine Erwärmung um maximal ein Grad als »gerecht« an. Schon beim heutigen Stand seien mehrere zehn Millionen Menschen massiv vom Klimawandel betroffen, schreiben die Studienautoren. Diese Zahl werde sich mit jedem Zehntelgrad größerer Erwärmung drastisch erhöhen.

»Mit dem bisherigen Fokus auf globale Mittelwerte, zum Beispiel die globale Mitteltemperatur, werden alle Regionen gleich behandelt, was aber nicht realistisch ist«, erklärt Christian Franzke von der Pusan National University in Südkorea gegenüber dem Science Media Center. Franzke war nicht an der aktuellen Untersuchung beteiligt. »Diese Studie legt nun den Fokus darauf, dass alle Regionen bewohnbar bleiben sollen, was nur gerecht ist, da die am meisten durch den globalen Klimawandel betroffenen Gebiete am wenigsten zur Klimaerwärmung beigetragen haben.«

Die vom Menschen verursachten Aerosole in der Luft bilden das einzige Kriterium, bei denen die sichere und gerechte Grenze des Erdsystems dem Forschungsteam zufolge noch nicht überschritten ist. So gelten Vulkanausbrüche als natürliche Quelle von Aerosolen, die dann verteilt in der Atmosphäre etwa Monsunereignisse anderswo auf der Welt beeinflussen können. Letztlich fallen dort dann weniger Niederschläge. Das Phänomen trete insbesondere ein, wenn sich die Aerosolmengen auf der Nord- und der Südhalbkugel stark unterscheiden. Diese Grenze ist nach den Berechnungen der Forscher noch nicht erreicht – allerdings ist die Unsicherheit bei der Frage besonders groß.

»Die Dringlichkeit der Situation ist mittlerweile klar«Helmut Haberl, Universität für Bodenkultur in Wien

Aerosole gelangen aber auch durch den Menschen in die Luft – durch den Verkehr, beim Heizen oder beim Düngen in der Landwirtschaft. Stichwort: Feinstaub. Laut Rockström und seinen Kollegen sind zirka 85 Prozent aller Menschen einer Feinstaubbelastung ausgesetzt, die im Fall der Partikelgröße PM2,5 einen Wert von 15 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft überschreitet. Weltweit sterben jährlich Millionen Menschen an den Folgen andauernder Feinstaubbelastung. Lokal sei damit der gerechte Wert schon überschritten. Für eine weltweite Einschätzung der Aerosolbelastung seien die Daten jedoch nicht ausreichend.

Eine gerechte globale Umgestaltung aller Erdsysteme sei erforderlich

Um das Wohlergehen der Menschheit zu gewährleisten, ist den Forschern zufolge eine gerechte globale Umgestaltung aller Erdsysteme erforderlich. »Solche Transformationen müssen systemisch in den Bereichen Energie, Ernährung, Stadt und anderen Bereichen erfolgen, sich mit den wirtschaftlichen, technologischen, politischen und anderen Treibern des Wandels des Erdsystems befassen und den Zugang für die Armen durch Reduzierung und Umverteilung des Ressourcenverbrauchs sicherstellen«, so die Studienautoren.

Forschende, die selbst nicht an der Studie beteiligt waren, erkennen die wissenschaftliche Leistung der Studie an: »Generell ist der extrem komplexe Ansatz, diese sehr unterschiedlichen Kategorien und Daten in eine einfache und vergleichbare Skala zu bringen, sehr hilfreich«, sagt Johannes Emmerling vom RFF-CMCC European Institute on Economics and the Environment in Mailand. Die Studie sei »ein Weckruf für die Politik, in wie vielen Bereichen wir riskieren, die Kontrolle über grundlegende Erdsubsysteme – möglicherweise unumkehrbar – zu verlieren«, äußert sich Emmerling gegenüber dem Science Media Center.

Dem schließt sich Helmut Haberl von der Universität für Bodenkultur in Wien an. Allerdings merkt er kritisch an, dass die von den Studienautoren genannten Grenzwerte nicht unbedingt auf einem festen Fundament stehen: »Die Grenzwerte werden zwar mit aktueller Literatur belegt, aber auch diese leidet daran, dass die enorm komplexen und vielfach örtlich spezifischen Wechselwirkungen in Ökosystemen nur unzureichend verstanden werden, so dass letztlich nur mit recht pauschalen und generalisierenden Annahmen gearbeitet werden kann.« Was die globale Erwärmung und die Folgen für die Menschheit betrifft, hält er jedoch zweifelsfrei fest: »Die Dringlichkeit der Situation ist mittlerweile klar und wird inzwischen nur mehr im Zuge von bewussten Desinformationskampagnen in Zweifel gezogen.« (dpa/kas)

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